Digitales Programmheft

Frühlingskonzert des Freiburger Studierenden-Orchesters


Sonntag, der 14. April 2024 / 18 Uhr
Konzerthaus Freiburg, Rolf-Böhme-Saal

 
 

Dmitri Schostakowitsch
Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107

I. Allegretto
II. Moderato
III. Cadenza
IV. Allegro con moto

Panu Sundqvist  Cello


Pause

Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92

I. Poco sostenuto – Vivace
II. Allegretto
III. Presto
IV. Allegro con brio


Gunnar Persicke 
Dirigent
Freiburger Studierenden-Orchester


„Schostakowitsch gab mir am 2. August 1959 das Manuskript des ersten Cellokonzerts. Am 6. August spielte ich es ihm auswendig dreimal vor. Nach dem ersten Durchlauf war er so begeistert, dass wir natürlich einen kleinen Wodka getrunken haben. Das zweite Mal spielte ich es nicht ganz so perfekt und danach tranken wir mehr Wodka. Das dritte Mal spielte ich das Konzert von Saint-Saëns, glaube ich, während er sein eigenes Werk begleitete. Wir waren ungeheuer glücklich…“
— Mstislaw Rostropowitsch

In den schillernden Hallen der musikalischen Ekstase, in denen die Noten tanzen und die Geister der Komponist:innen ihre geheimen Geschichten flüstern, erhebt sich Dmitri Schostakowitschs Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur wie ein exzentrischer Wirbelwind: Mit scheinbar einfachen Mitteln – mithin einer für die Verhältnisse des Komponisten geradezu kammermusikalischen Orchesterbesetzung – schafft, nein: ergreift sich dieses Werk seinen Platz im heutigen Cello-Solorepertoire. Und das ganz unkonventionell: Über kein anderes Instrument hört und liest man so oft und monoton, wie schön es (in den richtigen Händen) doch zu „singen“ vermag, wie warm und einfühlsam sein Klang und umschmeichelnd sein Charakter sei. Aber nicht mit Schostakowitsch: Dieses Werk ist kein sanftes Wiegenlied für müde Seelen; es ist ein Sturm, der die Sinne aufwühlt und die Konventionen der (klassischen) Musik infrage stellt. Muss Musik denn immer „schön“ sein? Muss sie ihren Hörer:innen „gut tun“? Was wenn einfach mal nicht? Soll sie das denn überhaupt? Und was heißt das alles eigentlich?

Orchester und Cello beginnen mit einem marschartigen Thema, das sich wie ein düsterer Schatten über den Konzertsaal legt. Das Solo betritt die Bühne, sich unbeeindruckt dem Kampf – gegen das Orchester, den hanebüchen virtuosen Notentext, den Komponisten? – stellend, wie ein:e einsame:r Krieger:in. Die Noten wirbeln, tanzen, kämpfen miteinander. Es ist ein wilder Ritt durch die Abgründe unseres Verständnisses und Empfindens von Musik.

Im zweiten Satz verlangsamt sich die Zeit. Das Cello singt von einer Sehnsucht. Die Streichinstrumente begleiten es mit zarten Akkorden, als würden sie die Träume von einer verlorenen Liebe weben. Die Melodie steigt auf, fällt ab, windet sich mit letzter Kraft wie ein verwundetes Tier. Schostakowitsch schreibt hier auch mit langsamen Noten keine ruhige, keine erfüllende Musik, er malt keine idyllische Landschaft, keine Zuflucht, keine Erlösung, sondern eine Welt der gebrochenen Herzen und verlorenen Illusionen.

In aller Regel schließt sich einem zweiten Satz ein dritter an – hier jedoch nicht ganz: Schostakowitsch befreit die klassische Kadenz aus ihrer Fermate am Satzende und erklärt sie zu einer eigenen Nummer. Hier entfesselt sich das Solo in einem virtuosen Feuerwerk. Die Finger fliegen über die Saiten, die Töne explodieren wie Sternschnuppen. Es ist, als würde Schostakowitsch die Grenzen der menschlichen Fähigkeiten ausloten. Die Cellostimme wird zum Aufschrei, zur Verzweiflung, zur Ekstase.

Der finale Satz ist wieder ein wilder Rausch: Cello und Orchester jagen einander, treiben sich zu immer neuen Höhen. Die Noten wirbeln, die Bögen fliegen, das Publikum vermag kaum zu atmen. Und dann, im letzten Moment, ein kraftvoller, jedenfalls gewaltiger, fast gewalttätiger Schluss – ein Schlag, der die Seele zerrüttet.

Schostakowitschs erstes Cellokonzert ist kein Stück für schwache Nerven; es ist ein Sturm, der die Konventionen eines Solokonzerts sprengt, ein Tanz auf dem Vulkan der Emotionen. Halsbrecherisch virtuos, in all seinen Extremen mitreißend, exzentrisch, unkonventionell.



Carl Maria von Weber erklärte Beethoven aufgrund seiner Siebten für „reif für‘s Irrenhaus“; Friedrich Wieck, Clara Schumanns Vater, nannte es das Werk eines Betrunkenen. Und der Dirigent Sir Thomas Beecham verglich den letzten Satz mit „einem Haufen herumspringender Grunzochsen“.

Beethovens Siebte ist seit ihrer Uraufführung populär, heute gehört sie ohne jeden Zweifel in den Olymp der klassischen Sinfonik – aber wie man sehen kann, ist sie nicht unbedingt unumstritten. Sie ist ein Werk, das sich Erklärungen über seinen Ursprung und seine Bedeutung widersetzt hat, und während die vorherrschende Emotion in dem Stück eine Art ausgelassener Freude ist oder jedenfalls zu sein scheint, ist der berühmteste Teil der Sinfonie der geheimnisvolle zweite Satz, der von Anfang an so beliebt war, dass das Orchester gezwungen war, ihn bei der Premiere als Zugabe zu spielen. In gewisser Weise hat sich Beethoven selbst die Streitbarkeit seiner Siebten zuzuschreiben: Seine Fünfte und Sechste hatten so klare Erzählungen – eine abstrakt, eine explizit – dass das Publikum fast ein weiteres quasi-narratives Werk erwartete. Aber diese Erwartung hat er bewusst verletzt, eine vergleichbar ausdrückliche Aussage bleibt die Siebte schuldig.

Was Beethoven jedoch fortsetzt, ist seine Besessenheit mit rhythmischer Kraft, mit Repetition bis an die Grenzen der Penetranz. Beethoven nutzt rhythmische Elemente nicht (mehr) als bloße Struktur für etwas anderes, als Mittel zum Zweck, für eine Melodie, Harmonie oder sonstige musikalische Ausdrucksform: Der Rhythmus ist der Zweck. Schon in die an sich sehr majestätisch-melodische Poco sostenuto-Einleitung des ersten Satzes schleicht sich immer mehr ein unnachgiebiger Puls, im Übergang zum Vivace eskaliert Beethoven dann vollends: Nichts, überhaupt gar nichts in der Musikgeschichte bis dahin (und auch danach zumindest für ein gutes halbes Jahrhundert) ist vergleichbar mit Beethovens hier zur Schau gestellten Besessenheit mit einem Ton und einem Rhythmus. Einundsechzigmal wiederholt er dasselbe E auf dieselbe Art. Doch irgendwie schafft Beethoven es, dass die Passage nie nervt, an Spannung verliert oder gar langweilig wird. Wahrscheinlich war es der bloße Neid ob dieser Fähigkeit, die Carl Maria von Weber dazu verleitete, diesen Moment damit zu verunglimpfen, er sei keine Musik mehr. Was sich anschließt, nannte Richard Wagner treffend eine „Apotheose des Tanzes“: ein fortgesetztes Fest dieser rhythmischen Idee, aufgefächert und gesteigert in sportlich-dynamische Melodien und vergleichsweise einfache Harmonien, immer nach vorne, immer energiegeladen, mit gleißend-klarem Esprit.

Im zweiten Satz, dem berühmten Allegretto, setzt sich die Faszination mit Repetition fort, doch der Ausdruck ist völlig gewandelt: So entfaltet sich ein geheimnisvoller Tanz, die Celli und Kontrabässe setzen ein, als würden sie die Schatten der Vergangenheit beschwören. Die Melodie steigt auf, fällt ab, windet sich wie ein verlorenes Echo. Der dritte Satz, ein Presto, spielt dasselbe Spiel, dieses Mal als wilder Sturm. Die Noten rasen wie irre, gehetzt von einem Teil in den nächsten; es ist, als würde Beethoven die Elemente selbst heraufbeschwören, mitgerissen in einem Strudel aus Leidenschaft und Ekstase. Der Schlusssatz, ein Allegro con brio, steigert die Wildheit der beiden bisherigen schnellen Sätze nochmal: Die Hauptstimme wirkt fast uninteressant im Vergleich zu der rohen, mit unintuitiven Akzenten vollgeschriebenen, spannungsgeladenen Textur der vermeintlichen Nebenstimmen – so sollte es nicht funktionieren, aber es funktioniert. Seiner Zeit weit voraus, erleben wir eine bemerkenswerte Eskalation der Obsessivität Beethovens.



Im Juli 2016 durften wir als Orchester (bei unserem allerletzten Konzert im Audimax) schon einmal mit Panu Sundqvist das heute zu hörende Cellokonzert spielen: Wir waren damals völlig überwältigt – als wir in der Generalprobe zum ersten Mal die Kadenz von ihm gehört haben, hat gefühlt das ganze Orchester zu atmen vergessen. Das Freiburger Audimax ist eigentlich leicht ein recht unruhiger Saal, aber in diesem Moment hätte jede fallende Stecknadel böse Blicke auf sich gezogen. Daher empfanden wir es rückblickend als schade, dass wir dem Ereignis dieser Interpretation noch nicht den Raum – ganz wortwörtlich im Sinne von „Saal“ – geben konnten, den es verdient gehabt hätte. Nicht nur, aber auch deshalb freuen wir uns wahnsinnig, dass Panu Sundvist unserer Einladung erneut gefolgt ist und wir Ihnen heute daher nochmal dieses Werk im Rahmen unseres Frühlingskonzerts gemeinsam präsentieren dürfen.

Panu Sundqvist studierte am Konservatorium Turku (Finnland) bei Timo Hanhinen und Jukka Perksalo. 2005 schloss er sein Studium bei Prof. Michael Sanderling in Frankfurt mit dem Konzertexamen ab. Er war Preisträger mehrerer Wettbewerbe – wie etwa des Mendelssohn-Wettbewerbs in Berlin, des nationalen Cellowettbewerbs in Finnland, des Izuminomori Wettbewerbs in Japan und des Wettbewerbs „Pacem in Terris“ in Bayreuth. Als Solist spielte er u. a. mit den Philharmonischen Orchestern von Turku und Tampere. 2005 wurde er Solocellist des Philharmonischen Orchesters Tampere. Seit 2011 ist er Mitglied des SWR Symphonieorchesters. Daneben hat er einen Lehrauftrag für Orchesterstudien an der Musikhochschule Freiburg.


Gunnar Persicke spielte als Kammermusiker, Orchestermusiker und Solist auf vielen der großen Bühnen dieser Welt; in Städten wie Paris, Wien, Berlin, Oslo, Riga, Zürich, St. Petersburg, Tokio, Chicago, New York und vielen anderen feierte er – oft im Rahmen großer Festivals, wie der Salzburger Festspiele, dem Lucerne Festival und Wien Modern – große Erfolge. Er begann seine musikalische Laufbahn als Violinist, absolvierte sein Studium in Berlin bei Prof. Ulf Wallin und Prof. Christoph Poppen, sowie an der renommierten Indiana University Bloomington bei Prof. Mauricio Fuks; als Stipendiat der Jürgen-Ponto-Stiftung, der Studienstiftung des Deutschen Volkes und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes wurde er in seiner Ausbildung besonders gefördert. Das Solistenexamen schloss Gunnar Persicke in Berlin mit Auszeichnung ab.

Für sein Debüt als Solist im Jahr 2005 mit dem Konzerthausorchester Berlin wählte er das erste Violinkonzert von Hans-Werner Henze – nicht zufällig: Die Aufführung selten gespielter Literatur weckt sein besonderes Interesse als Musiker. Während des Studiums schon sammelte Gunnar Persicke in renommierten Profiorchestern Erfahrung, wie z. B. dem Münchener Kammerorchester und dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin. Seit 2003 ist Gunnar Persicke erster Stimmführer der Violine II im SWR Symphonieorchester; mit diesem Orchester ist er auf allen großen Europäischen Musikfestivals und den bedeutendsten Bühnen der Welt präsent. Er spielte als Orchestermusiker unter vielen der bekanntesten Dirigent:innen unserer Zeit: Kent Nagano, François‑Xavier Roth, Tughan Sokhiev, Herbert Blomstedt, Christoph Eschenbach, Teodor Currentzis und Ingo Metzmacher, um nur einige zu nennen. Dabei wurde sein Interesse für das Dirigieren nachhaltig geweckt.

Im Jahr 2009 ergab sich dann eine Zusammenarbeit mit der Camerata Academica Freiburg: Gunnar Persicke konnte sich als Leiter dieses Orchesters ein beachtliches Repertoire erarbeiten und unternahm einige Tourneen, u. a. 2016 eine Reise nach Südafrika mit Konzerten in Kapstadt, Stellenbosch und Port Elizabeth. Mit großer  Hingabe widmet sich Gunnar Persicke zusätzlich dem Unterrichten: Von 2009 bis 2011 unterrichtete er an der Musikhochschule in Trossingen, seit 2009 in Freiburg. Als gefragter Gastredner hält er Masterclasses im In- und Ausland.


Das Freiburger Studierenden-Orchester ist das musikalische Flaggschiff der Freiburger Studierendenschaft. Es sticht aus der Vielfalt der hiesigen Sinfonieorchester durch sein hohes musikalisches Niveau, seine progressiven Programme, seine hochprofessionelle Probenbetreuung, seine freundschaftlich-herzliche Atmosphäre und seine offene und moderne Organisationsstruktur hervor und ist für musikbegeisterte und talentierte Student:innen aller Fakultäten der Universität Freiburg die erste Anlaufstelle. Seit Oktober 2017 leitet Gunnar Persicke das FSO; es besteht zum überwiegenden Teil aus Student:innen aller erdenklichen Fachrichtungen – von Medizin und Jura über Psychologie und Mathematik bis Ethnologie und Forstwissenschaften –, aus ehemaligen Mitgliedern des BJO, der LJO und anderer Jugendorchester; auch anderweitig Auszubildende, Berufstätige und Schüler:innen der Oberstufe gehören zu seinen Mitgliedern. Neben den zum Ende ein jeden Semesters im Konzerthaus Freiburg stattfindenden Sinfoniekonzerten gehören die alljährlich für kurz vor Beginn des Sommersemesters angesetzten Frühlingskonzerte für kleiner besetzte, aber nicht minder bedeutsame Werke sowie weitere Zusatzprojekte zugunsten wohltätiger Zwecke oder Stummfilmbegleitungen und regelmäßige Kammerkonzerte zum Programm des Freiburger Studierenden-Orchesters. Jederzeit finden Sie unter www.FSOrchester.de weitere Informationen.


Violine I Marita Hörberg (KM1), Matthias Bundy (KM2), Serafina Bruning, Jakob Doll, Esther Hopf, Moritz Krapohl, Caroline von Kries, Anna Oberschmidt, Tobias Thewes, Hjördis‑Yarla Völklin, Patricia Weber, Valentina Wirtgen
Violine II Marie Jakob (SF1), Anna Prayer (SF2), Frieda Anders, Paul Goffing, Maja Grimm, Elisabeth Günther, Stella Jäckle, Lena Kücherer, Inga von Olshausen, Ferdinand Stötzer
Viola Katharina Roggenstein (SF1), Johanna Schlegel (SF2), Marie Alt, Katharina Diener, Muriel Müller, Lea Muranyi, Wolfgang Oestreicher, Mirjam Schröder
Cello Hannes Jakob (SF1), Simon Ebert (SF2), Matthias Auer, Johannes Bulk, Henning Dehn, Cordula von Heyl, Jürgen Weippert, Katja Zott
Kontrabass Lisa Ecker, Vera Jackisch Stefan Krattenmacher, Lexie Schilling

Flöte Gesine Teichmann (+picc), Lioba Klaas
Oboe Aichlinn Huang‑Ryan, Christina Uherek
Klarinette Lucas Vaysse, Jan Thürmer
Fagott Eyüp Ertan (+kfg), Marius Hörner

Horn Patrik Seuling, Matthias Schächner
Trompete Leonard von Rhein, Michèle Baumgartner

Celesta Tobias Kalt
Pauken Sam Hildebrandt

Solo-Cello Panu Sundqvist
Dirigent Gunnar Persicke



Herausgeber
Freiburger Studierenden-Orchester e. V.

Adresse
Freiburger Studierenden-Orchester e. V.
z. Hd. Marius Hörner
Hofackerstraße 91
79110 Freiburg im Breisgau

Mail vorstand@FSOrchester.de
Website FSOrchester.de
Instagram @FSOrchester

Bilder Archiv (Panu Sundqvist),
Elza Loginova (Gunnar Persicke, Orchester)

Orchestervorstand Marius Hörner, Leonard von Rhein, Marie Jakob, Marita Hörberg, Simon Ebert, Hanna Bluhm, Moritz Kirchner

#ClockworkGreen

Auflage
1.000 Stück / © April 2024